15. Juni 2011
»Die zaghafte Rückkehr von Gurken und Salat«
DIE WELT
Von Edgar S. Hasse. Vertrauen der Verbraucher wächst nach EHEC-Krise nur langsam.
Der Schock sitzt noch tief. Von Normalität könne keine Rede sein, heißt es beim Großmarkt. Nur am Sonnabend vor Pfingsten gab es einen Ansturm auf die Produkte.
Um Verunsicherung abzubauen, laden jetzt die ersten Gärtnereien zu öffentlichen Führungen ein.
Wie gewohnt stand Gemüsehändler Ernst Prigge aus Fliegenberg am Dienstag um drei Uhr morgens auf, um seine frischen Produkte auf dem Isemarkt anzubieten. Erdbeeren und Schalotten, Kartoffeln und Möhren zum Beispiel. Doch gestern gab es seit Wochen eine kleine Premiere: 180 ausgewachsene Exemplare der Gattung Cucumis (Gurken) befanden sich an Bord seines Transporters, die Prigge erstmals seit fast vier Wochen wieder auf dem Hamburger Traditionsmarkt feilbieten wollte.
Und das mit dem Segen der höchsten Ernährungswächter. Denn das Robert-Koch-Institut hatte in der vergangenen Woche den Bann über Gurken, Blattsalat und Tomaten aufgehoben und den Verzehr des Gemüses ausdrücklich wieder erlaubt. Nur Sprossen sind noch auf dem Index.
Was Händler Prigge am Dienstag nach Pfingsten erlebte, war allerdings nicht die große Gier auf Gurken. Der kollektive Run der Käufer auf das zuvor verbotene Gemüse blieb nämlich weitgehend aus. "Es ist ein ganz normaler Verkaufstag", sagt Ernst Prigge. Ähnliches beobachteten auch die Vertreter der Bauernverbände in der Metropolregion Hamburg am Dienstag. Bei den Direktvermarktern auf den Wochenmärkten und in den Hofläden normalisiere sich die Lage langsam, so Klaus Dahmke vom Bauernverband Schleswig-Holstein. Torsten Berens, Geschäftsführer des Großmarktes Hamburg, rechnet sogar damit, dass es noch Wochen dauern könnte, bis das Verkaufsniveau im Vergleichszeitraum des Vorjahres erreicht werde. "Wir beobachten zwar ein Stück weit Entspannung der Lage, denn die Nachfrage hat deutlich zugenommen. Aber von Normalität kann noch keine Rede sein." Immerhin mussten manche Erzeuger Umsatzeinbußen von 90 Prozent hinnehmen.
Nach der Aufhebung des Verzehrverbotes für Gurken, Tomaten und Salat am vergangenen Freitag hatte es zunächst so ausgesehen, als könnten die Erzeuger den Hunger auf frische Tomaten, Salat und Gurken gar nicht stillen. Immer wieder musste etwa Händler Prigge seinen Kunden auf dem Isemarkt am Pfingstsonnabend sagen: "Es sind keine Gurken da. Ausverkauft!" Auch die Gemüseregale in den großen Verbrauchermärkten waren vor Pfingsten weitgehend leer geblieben, weil es den Supermarkt- und Discount-Ketten nach der Entwarnung nicht mehr gelang, rechtzeitig bei den Erzeugern die begehrten Sorten zu ordern. "Die Ware war produziert und im Vertrieb, aber sie konnte nicht pünktlich ins Regal geliefert werden", hieß es beim Bauernverband.
Wo nun der Heißhunger auf Frischgemüse erst einmal gestillt ist, braucht es nun längere Zeit, bis die Verbraucher wieder mit Vertrauen einkaufen. Einer Umfrage zufolge wollen sich 40 Prozent der Kunden beim Gemüsekauf noch zurückhalten und sieben Prozent weiterhin darauf verzichten. Um Bedenken zu verstreuen, geht jetzt mit der Demeter-Gärtnerei Sannmann am Ochsenwerder Norderdeich 50 einer der ersten Erzeuger in die Offensive. Am kommenden Sonnabend lädt die Gärtnerei, die unter anderem Tomaten, Salat und Gurken anbaut, zu einer zweistündigen Führung ein (Beginn: 14 Uhr). "Über die Entwarnung durch das Robert-Koch-Institut sind unsere Kunden genauso froh wie wir", sagt Gärtnerei-Gesellschafter Thomas Sannmann. "Wir wollen mit dieser öffentlichen Führung dazu beitragen, dass Verunsicherung bei den Kunden abgebaut wird." Die Auswirkungen der EHEC-Krise traf die Gärtnerei nach eigenen Angaben "glimpflich", weil viele Stammkunden weiterhin die von den Behörden zum Verzehr nicht empfohlenen Produkte gekauft hatten. Dennoch mussten rund 3000 Kilo Salat und 1000 Kilo Gurken und Tomaten weggeworfen oder kompostiert werden.
Eine leichte Entspannung der Lage zeichnet sich ebenso in den Krankenhäusern ab. Die Hamburger Gesundheitsbehörde geht von einer weiterhin rückläufigen Tendenz bei den Erkrankungen am Hämolytisch-Urämischen Syndroms (HUS) aus - einer schwerwiegenden Folge der EHEC-Infektion. Bei EHEC selbst seien 14 Fälle hinzugekommen, davon fünf Verdachtsdiagnosen. Wegen des Wochenendes und der Feiertage sei bei der Interpretation der rückläufigen Tendenz allerdings noch immer eine gewisse Vorsicht angebracht, hieß es in der Behörde.
Bis Dienstag wurden in Hamburg insgesamt 1053 EHEC-Fälle gemeldet. Die gemeldeten HUS-Fälle, bei denen ein stationärer Aufenthalt notwendig war oder ist, lag am Dienstag unverändert bei 181. Frauen sind mit 137 HUS-Fällen nach wie vor überproportional vertreten.